Wie die Diagnose-Interventionsmethode dazu beitragen kann, die Bedürfnisse der Teilnehmenden besser zu verstehen.

Eine Kursteilnehmerin fragte mich: „Wie kann ich unklare oder unausgesprochene Bedürfnisse erkennen, wenn Teilnehmende keine ehrlichen oder hilfreichen Antworten geben, obwohl sie offensichtlich nicht zufrieden sind? Wie kann ich herausfinden, was wirklich los ist, ohne Druck auszuüben?“

Die Gefahr voreiliger Annahmen

Diese Frage lässt sich mit der Diagnose-Interventionsmethode wunderbar beantworten. Doch bevor wir in die Praxis einsteigen, lohnt es sich, den Begriff „offensichtlich“ zu hinterfragen. Woran kann man erkennen, dass die Person wirklich unzufrieden ist? Ist es an der Körpersprache, am Tonfall oder an früheren Äußerungen zu erkennen? Oder beruht die Vermutung auf einer eigenen Projektion?

Wir gehen oft davon aus, dass wir richtig erkennen können, was andere denken oder fühlen. Doch diese Annahme kann trügerisch sein. Wenn wir voreilig reagieren, riskieren wir etwas:

  • Missverständnisse: Die andere Person interpretiert die Situation vielleicht ganz anders.
  • Widerstand: Die direkte Konfrontation mit einer falschen Annahme kann Ablehnung hervorrufen.
  • Verpasste Einsichten: Eine offene Klärung kann dazu führen, dass wir etwas Wertvolles erfahren, das uns sonst verborgen geblieben wäre.

Ich erinnere mich an eine Situation zu Beginn meiner Karriere in Deutschland: Eine Gruppe von fünf etwas älteren Bayern saß mir gegenüber, alle mit verschränkten Armen und Grimassen im Gesicht. Ich fühlte mich sehr unwohl und sprach die Gruppe in der Pause an. Ich erklärte ihnen, dass ihre Körpersprache in meiner britischen Kultur als ablehnend zu interpretieren sei. „Nee“, sagte einer, „wir sind nur entspannt“. 😁

Wie Diagnose-Intervention hilft, nicht impulsiv zu reagieren

Die Diagnose-Interventionsmethode hilft, nicht vorschnell zu urteilen und sich nicht „getriggert“ zu fühlen. Sie lässt einen innehalten, bevor man voreilige Schlüsse zieht. Statt sofort zu reagieren, sammelst du zunächst Informationen, prüfst Hypothesen und entscheidest dann bewusst, ob und wie du eingreifst.
 
Stell dir vor, du moderierst einen Workshop und auf die Frage, ob alles in Ordnung sei, sagt ein Teilnehmer lediglich: „Geht so“ – dabei wirkt er angespannt und vermeidet Blickkontakt.

Eine unüberlegte Reaktion wäre: „Ich sehe, dass du unzufrieden bist. Was ist los?“ – Hier wird bereits eine Vermutung geäußert, die Widerstand auslösen kann. Stattdessen könnte man nach der Diagnose-Interventionsmethode wie folgt vorgehen:

Diagnose („Selbstgespräch“)
Bevor man handelt, reflektiert man für sich selbst:

  • Beobachtung: „Ich habe beobachtet, dass er mit gesenktem Blick und verschränkten Armen „Geht so“ gesagt hat“.
  • Interpretation: „Ich interpretiere das so, dass er nicht ganz zufrieden ist.“
  • Entscheidung: „Soll ich eingreifen? Ich könnte vorsichtig nachfragen, ohne eine Vermutung zu äußern“.

Intervenieren (mit der Person sprechen)
Wenn du dich entscheidest zu intervenieren, gehst du wie folgt vor:

  • Beobachtung beschreiben/testen – so neutral wie möglich!!: „Als ich dich gefragt habe, ob alles in Ordnung ist, hast du gesagt: ‚Es geht so.‘ Dabei hast du den Blick gesenkt und die Arme verschränkt.“
  • Die Interpretation teilen und Raum für abweichende Interpretationen lassen: „Ich hatte den Eindruck, dass du vielleicht nicht ganz zufrieden bist und dass es noch Gedanken oder Bedenken gibt, die du vielleicht nicht ausgesprochen hast. Habe ich Recht oder siehst du das anders?“

Wenn die Person mit deiner Interpretation einverstanden ist, könntest du zielorientiert vorgehen: „Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir deine Meinung zum Training geben würdest. Das hilft mir etwas zu ändern, das das Trainingserlebnis verbessern könnte.“

Diese Vorgehensweise gibt der Person Raum zum Nachdenken, ohne Druck auszuüben.

Der richtige Zeitpunkt für eine Intervention?

Es ist sehr wichtig, darüber nachzudenken, ob und wann man intervenieren sollte:

  • Sofort: Wenn es wichtig ist, die Gruppendynamik zu verstehen, kann eine offene Frage helfen, ohne direkt eine Hypothese zu formulieren.
  • In der Pause: Wenn die Person zurückhaltend wirkt, kann ein Einzelgespräch helfen, ohne sozialen Druck auszuüben.
  • Beim Feedback: Wenn es sich um ein wiederkehrendes Muster handelt, kann es sinnvoll sein, das Thema in einer Feedbackrunde anzusprechen.
  • Überhaupt nicht: Manchmal ist es besser, nichts zu sagen

Wann (oder ob) man interveniert, erfordert Fingerspitzengefühl. Ich persönlich ignoriere solche Probleme nicht, bevorzuge aber Gespräche unter vier Augen. Wenn aber das Verhalten eines Teilnehmers die Gruppendynamik stört (z.B. weil er sich weigert, an einer Übung teilzunehmen), dann würde ich sofort intervenieren.

Ein wertvolles Werkzeug für Agile Coaches

Die Diagnose-Interventionsmethode ist nicht nur eine Moderationstechnik, sondern auch ein wertvolles Werkzeug für Agile Coaches. Sie hilft, zwischenmenschliche Dynamiken besser zu verstehen, bewusster zu kommunizieren und Konflikte oder Missverständnisse respektvoll zu klären.
Statt sich von Vorannahmen leiten zu lassen, hilft ein strukturierter Diagnose-Interventionsprozess, Klarheit zu gewinnen, ohne Druck auszuüben. Wer sich die Zeit nimmt, seine Reaktion bewusst zu steuern, wird langfristig bessere Gespräche und tiefere Einsichten gewinnen.

Was ist die Diagnose-Interventionsmethode?

Die Methode – auch Diagnose-Interventions-Zyklus genannt – wurde von dem amerikanischen Autor und Experten-Facilitator Roger Schwarz entwickelt. Mehr dazu findest du in seinem Buch „The Skilled Facilitator“.